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Datum: 01.03.2024

Von der Naturkontaktstation wird berichtet:

Auf dem Olymp der Glückseeligkeit

„Heute wird ein schöner Tag“, denkt sie als sie nach einem ausgiebigen Frühstück vor die Tür tritt. Sonntag, morgens halb zehn in Deutschland. Frühling liegt in der Luft. Die Sonne scheint, der Himmel strahlt in einem azurblau und kein Lüftchen rührt sich. Ein guter Tag für einen Ausflug mit dem Fahrrad und einer Tour durch die Umgebung.

Ihre Tour führt sie über immer noch matschige Wege. Durch Felder und Wiesen gelangt sie bald in den nahegelegenen Wald. Weitab vom Zivilisationslärm ist es auch im Wald nicht still. Eine andere, für die Ohren wohltuende Geräuschkulisse tut sich auf. An einem trockenen Kieferstamm macht sich ein Buntspecht zu schaffen. Auf der Suche nach im Totholz oder unter der Borke versteckten Insekten und Larven hämmert er mit seinem Schnabel unermüdlich auf das Holz ein. Bis zu zwanzig Schläge pro Sekunde kann er ausführen ohne Kopfschmerzen zu bekommen. Sein Gehirn ist von wenig Gehirnwasser umgeben und sitzt so relativ starr im Kopf. Es wird beim aufprallen des Schnabels auf das Holz somit nicht gegen die Schädelknochen geschleudert. Das hatte sie einmal in einem Buch über die heimische Vogelwelt gelesen. Als der Eichelhäher sie entdeckt schlägt er Alarm und fliegt mit lautem Geschrei davon. Die Amseln tun es ihm gleich und auch die Kohlmeisen werden auf einmal zu Wächtern des Waldes. Sie schiebt ihr Fahrrad über den weichen Waldweg, der von Moos und Kiefernnadeln bedeckt ist und ihre Schritte verschluckt. Aber lautlos ist sie trotzdem nicht. Die langen, vertrockneten, gelben Halme des Waldflattergrases hängen über den Waldweg. Sie schlagen gegen die Speichen, verfangen sich in ihnen und brechen mit einem knacken ab. Hier und da matscht es unter den Gummistiefeln, die zu dieser Jahreszeit und nach dem vielen Regen zum Dauerschuhwerk geworden sind. Jedenfalls für Outdoor- Fetischisten**Innen wie sie. Bei ihrem Weg durch den Wald versucht sie so leise wie möglich zu sein, was nicht immer gelingt. Der Weg endet an einer kleinen Lichtung. Die Wipfel der hohen vor ca. 30Jahren gepflanzten Fichten im Hintergrund der Lichtung wiegen sich im aufkommenden leichten Wind hin und her. An ihren unteren Zweigen hängen Moose wie kleine Fähnchen herunter. Sie erinnert sich an ihre Zeit in den Südstaaten der USA, wo Flechten lang von den unteren Zweigen der knorrigen, alten Eichen heruntergewachsen waren.

Ihr weiterer Weg führt sie zu einer Ansammlung von verlassenen Teichen. Die Ränder der Teiche sind gesäumt von alten Erlen. Die ein oder andere hängt schief über das Ufer hinweg. Manch eine ist ganz umgestürzt und liegt im Wasser. Auf den vertrockneten in die Höhe ragenden Ästen hocken wartend Kormorane, die nach Beute unter Wasser Ausschau halten. An den nahegelegenen bewirtschafteten Fischteichen können sie keine Beute mehr machen. Dort wurden vor geraumer Zeit alle geeigneten Ansitzbäume entnommen, da sie den Fischbesatz dort zu sehr reduziert hatten. Auf dem Wasser schwimmen Stockenten und sogar das Schwanenpaar hat sich wieder eingefunden. Sie sind bereits damit beschäftigt den Thron von einem Nest zu renovieren und herzurichten. Die ersten Mücken tanzen über dem Wasser und hier und da springt ihnen ein Fisch hinterher.

Hier hat die Renaturierung vor Jahrzehnten wieder das zurückgebracht was längst verloren schien. Nicht nur für die Flora und Fauna ist ein Paradies entstanden. Lange steht sie regungslos auf der kleinen Landzunge und fühlt eine innere Ruhe in sich hochsteigen. Weit weg vom Alltags- und Berufsstress, kein Zivilisationslärm, Natur pur. Versteckt inmitten ihrer Heimat. Sie fühlt sich in diesem Moment wie auf dem Olymp der Glückseeligkeit angekommen.

Hier war es nicht immer so. In ihrer von Landwirtschaft geprägten Heimat hatte es Jahrzehnte gedauert bis gewisse Landstriche der Natur zurückgegeben werden konnten. Viel Protest aus der Bevölkerung. Das Projekt wurde von den Alteingesessenen belächelt. Es wurde für unnütze Geldausgeberei gehalten und als solches abgestempelt. Jetzt, 30Jahre später, in Zeiten des Klimawandels, Naturschutzes und der Flächenstilllegungen hat sich die Renaturierung auf diesem Fleckchen Erde gelohnt. „Gut, das dieser Ort so versteckt gelegen ist und nur interessierte Einheimische ihn kennen, sonst würden sich Ornithologen**Innen und Hobbyfotographen**Innen hier die Klinge in die Hand geben und vieles durcheinander bringen“, denkt sie, als sie ihr Fahrrad wendet um sich auf den Heimweg zu machen.

Die Natur ist an diesem Ort sich selbst überlassen worden und reguliert sich ohne menschliches Zutun.

Das ein oder andere Beispiel aus der Natur lässt sich auch in den Garten zuhause übertragen. Man muss nur Mut haben, genau hinsehen und es zulassen.

Auf ihrem Heimweg erinnert sie sich ihre eigene Einstellung von vor 10Jahren. Alles sauber und ordentlich, kein Kraut da wo es nicht hingehört, keine Laus auf den englischen Rosen, der Rasen immer ordentlich gemäht. Heute sieht sie es anders und auch ihr Garten sieht anders aus. Da wächst hier und da der Fingerhut über deren Blüten sich im Sommer die Hummeln freuen. Neben dem Komposthaufen wächst die große Brennessel, Kinderstube und Nahrungsgrundlage für die Raupen mancher Schmetterlingsarten, die Taubnesseln an der Stallwand ein Eldorado für Wildbienen und Co. An den Rosen hängen zuweilen die Blaumeisen und Spatzen kopfüber und picken die Blattläuse von Zweigen und Blättern. „Eine gepflegte Unordnung und es sieht immer noch sehr geordnet aus“, denkt sie so manches Mal wenn sie durch den Garten geht. Naturschutz und Garten hat sie bei sich in Einklang bringen können und manch einer bleibt am Gartenzaun stehen und wundert über die friedliche Idylle.

Als sie nach ihrer Fahrradtour wieder in ihrer „gepflegten Unordnung“ angekommen ist, entdeckt sie vor der Hauswand blühende Krokusse. Um sie herum schwirren die ersten Bienen ihres Nachbarn, die von den wärmenden Sonnenstrahlen gelockt, aus ihrem Stock ausgeflogen sind. Die ersten Blüten für sie in diesem Jahr. Für die Bienen der Olymp der Glückseeligkeit.